Tag 2 - Nachlese 2

Auch wenn Partying ein beliebter und auch wichtiger Teil von (so großen) Events wie der TechEd ist, so soll doch nicht der Eindruck entstehen, die Tageszeit wäre nur ein lästiger, irgendwie zu überbrückender Zwischenraum. Nein, nein, die Vorträge sind natürlich wichtig und auch die Hauptsache, wegen der die Teilnehmer auf der TechEd sind.

Ob deshalb die Vorträge so wie sie sind auch gut sind, ist allerdings eine andere Frage. Ich sehe schon eine ganze Menge Verbesserungspotenzial. Da sind z.B. die Grafiken in den PPT-Vorträgen. Sie haben nicht alle die gleiche Qualität oder werden angemessen eingesetzt. Ich würde sagen, mehr Grafiken, mehr Visualisierung können viele Themen vertragen. Wie man es schon mal besser machen kann, hat dem internationalen Publikum unser RD Clemens sehr schön gezeigt. Ich bin immer wieder beeindruckt von seinen Visualisierungen - und frage mich, wann er sich die Zeit nimmt, die ganzen Animationen einzubauen :-)

Bei Ken Getz (meiner persönlichen "Sprecher-Entdeckung" der TechEd 2003) habe ich gestern auch noch vorbei geschaut. Er hat einen hübschen Vortrag zum Thema Datagrid-Control in WebForms gehalten. Das Thema ist ja mit all seinen Optionen nicht ganz einfach und bedarf einiger Erklärungen und Übung. (Meine Leseempfehlung dazu: Building Web Solutions with ASP.NET and ADO.NET, Dino Esposito, MSPress 2002)

Warum hat mir der Vortrag aber gefallen? Gar nicht so sehr wegen seines Inhalts (ich hatte ja schon Dinos Buch gelesen), sondern wegen seiner Form. Wie auch schon bei seinem WinForms-Vortrag hat Ken das Medium Vortrag wirklich genutzt. Beim WinForms-Vortrag hatte er nicht nur Tipps&Tricks gezeigt, sondern auch den Umgang mit VS.NET bzw. das Vorgehen (!) bei der Arbeit. Gleiches hat er dann auch hier getan. Tipps&Tricks kann man durch Lesen lernen, den Umgang (!), ein Vorgehen, d.h. einen Prozess jedoch besser durch eine Demonstration. Da wo Attribute wie "Leichtigkeit" und "Geschwindigkeit" oder ein Vorgehen vermittelt werden sollen, bietet sich ein Vortrag statt Lektüre an. (Dazu gehören dann womöglich auch (bewusste) Fehlentscheidungen während einer Demonstration, die dann aber auch live ausgebügelt werden.)

Für Events bedeutet das: Um die immer knapper werdende Zeit aller Teilnehmer möglichst effektiv zu nutzen, sollte bei jedem Vortrag überlegt werden, ob, was und wieviel Mehrwert er gegenüber z.B. einem technischen Artikel zum selben Thema er hat. Keine leichte Aufgabe, aber eine die lohnt, angegangen zu werden. Für meine eigenen Vorträge habe ich schon mal versucht, etwas zu verändern. Weniger Slides, mehr Code ist mein aktuelles "Experiment". Denn Text auf Slides kann man auch allein im Kämmerlein lesen; Code zwar auch - aber den Prozess der Codeentwicklung, die Benutzung der Tools dabei, den Entscheidungsfluss, den kann man als Autor viel schwerer in einen Text fassen (auch wenn es bei genügend Platz nicht unmöglich ist). Über "no slides, just code" hinaus kann man aber auch noch anderes tun, würde ich sagen. Und das, was ich auf der TechEd gesehen habe, ist mir ansporn, zukünftig mehr auszuprobieren, um das Medium Vortrag noch besser zu nutzen.

Neben den Vorträgen gibt es auch eine Ausstellung mit Ständen von Borland, Intel, WISE, Microsoft und vielen anderen größeren und kleineren Anbietern. Leider habe ich keine Zeit gefunden, mich zwischen Vorträgen, Bloggen und Parties in diesem Bereich zu tummeln. Schade eigentlich, denn den C# Builder von Borland als alternative .NET Framework Entwicklungsumgebung hätte ich mir schon gern näher angesehen oder auch InfoPath - mein persönliches Highlight der TechEd - oder BizTalk 2004 oder ein SmartPhone oder andere Dinge mehr. Alles erklärungsbedürftige Technologien, die man halt nicht in 5min zwischen Tür und Angel kennenlernen kann und für die eine persönliche Demo ein geeigneter Einstieg ist (wenn das Standpersonal in der Lage ist, auf gezielte Fragen einzugehen). (Trotz Demosoftware, Video und Internet machen auch Messen immer noch Sinn.)

Beim Passieren des Ausstellungsbereiches auf dem Weg zu einem Vortrag bin ich dann aber doch über einen Stand gestolpert, der sich sehr unerwartet präsentiert hat:

Was hat ein Pinguin auf einer Microsoft-Veranstaltung zu suchen? Und dann auch noch einer, der die Muskeln spielen lässt! Bei näherem Hinsehen war dann zwar schon ein Fragezeichen auf dem Plakat zu erkennen, aber so ganz klar ist mir die Grafik dann doch nicht geworden. Kein Standpersonal, nur ein Flyer hat versucht, Abhilfe zu schaffen.

Es ging um ACT (http://www.actonline.org), eine Gesellschaft zur Föderung der Vielfalt und Freiheit der Softwareentwicklung, die Lobbyarbeit in Washington DC leistet. Dass das Plakat wahrscheinlich nur ein unglücklicher Versuch war, auf drohende Gefahren für die Softwarebranche im Allgemeinen und als Ganzes (!) aufmerksam zu machen, wird durch den Präsidenten von ACT deutlich: Jonathan Zuck ist einer der Microsoft Regional Directors und sicherlich niemand, der versucht, auf der TechEd Linux "einzuschmuggeln".

Ob ACT eine gute Arbeit macht, kann ich nicht sagen. Aber die Existenz von ACT hat mir bewusst gemacht, dass die Softwarebranche offensichtlich groß genug ist, um eine eigene Interessenvertretung zu haben. Andere Branchen und Professionen haben eine lange Verbandstradition auf Arbeitgeber und -nehmerseite. Seien es der Bund deutscher Unternehmer oder der Deutsche Journalisten Verband oder die Gewerkschaften. Für die Softwarebranche mit ihren neuen/anderen Rechteverhältnissen und so ganz anderen Dynamik scheint es mir aber kein Äquivalent zu geben. Wo sind Microsoft, SAP, Borland, sd&m und die vielen kleinen Softwareschmieden organisiert, um ihre Interessen gegenüber dem Gesetzgeber zu vertreten? Und wo sind freiberufliche wie auch (noch) angestellte Softwareentwickler zusammengeschlossen, um ihre Interessen gegenüber Auftraggebern und Arbeitgebern zu vertreten? Es gäbe viel zu tun: Werk-/Projektverträge, Rechtsbeistand, Weiterbildung, Ausbildungsstandards, Berufsbilder, "Code of Conduct" und mehr.

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