Erster Eindruck von der PDC 2003: Da kommt was auf uns zu

Gewaltig

Nun bricht schon der zweite Tag der PDC an und ich habe noch nichts in meinem Blog. Hm... Woran liegt es? Ich glaube, an einer gewissen Unsicherheit, was ich zur PDC 2003 sagen soll. Auf der einen Seite ist alles gewaltig (und) spannend. Das beginnt beim Portal der PDC beim Convention Center in Los Angeles

setzt sich fort bei der Teilnehmerzahl von mehr als 7500 Entwicklern - die PDC ist ausverkauft! -, die eine unglaubliche Masse darstellen, wenn sie wie für die Keynote von Bill Gates und Jim Allchin

in einem Saal zusammenkommen (und dort auch 3,5 Std (!!!) ohne Pause und mucksmäuschenstill sitzen bleiben - beeindruckend und ein Zeichen für die positive Spannung erzeugt durch das demonstrierte)

oder sich zum gemütlichen Mittagessen :-) versammeln müssen

Alles ist hier in den USA einfach immer etwas größer. Aber bisher klappt die ganze Organisation sehr gut, finde ich. Immer wieder stehen Mengen an "Schülerlotsen" an allen Stellen und dirigieren die fließende Masse.

Nachteilig ist jedoch, dass das für alle frei zugängliche Netzwerk (Kabel oder Wireless) schnell überlastet ist. Und die Sessionräume sind schnell überfüllt. Wechseln zwischen Vorträgen wird damit sehr schwer. Eine unschöne Situation, denn dann kann man wirklich nur einen kleinen Ausschnitt des ebenfalls gewaltigen Programms von mehr als 150 Vorträgen wahrnehmen. Aus dem Angebot die für mich interessanten Sessions auszuwählen hat schon bestimmt 20 min gedauert (im Foto geld hervorgehoben); für jeden Timeslot sind bestimmt 4 oder 5 herausgekommen:

Wie ich gehört habe, sollen jedoch fast alle Sessions auch in 1-2 Wochen als Videos verfügbar sein (online? DVD?). Darauf bin ich sehr gespannt. Wenn das wirklich gut klappt, dann ziehe ich es vor, die Präsentationen darüber zu verfolgen. Das hat dann mehrere Vorteile: Ich kann beliebige viele anschauen bzw. in sie hineinschnuppern; und ich kann über langweilige Passagen hinwegspulen. Darauf bauend war mir gestern auch das persönliche Gespräch mit Kollegen oder in der Ausstellungen wichtiger, als mich noch in letzter Minuten in einen Sessionraum zu zwängen.

Don Box hab ich mir allerdings dann doch gegeben (oder gegönnt?). Ein interessanter Vortrag zum Thema Kommunikation in verteilten Anwendungen in der Zukunft.

Informationsflut

Und damit bin ich wohl schon bei meinem Problem. Stellvertretend dafür ein Blick in die Konferenztasche:

Zeitschriften ohne Ende, dickes Buch zum Thema Security, CDs ohne Ende, Müllwerbung ohne Ende. Einfach von allem viel. Berge an Informationen - und ein T-Shirt um den ersten Schweiß abzuwischen. Longhorn, Whidbey, Avalon, Indigo, WinFS, WinFX, ObjectSpaces und XAML sind nur einige Begriffe, um die es auf der PDC 2003 geht. Und wenn auch der .NET Framework für alles zentral ist, so lauern doch Revolutionen überall.

Avalon: Microsoft wird mit der zukünftigen Windows-Version Longhorn die Programmierung von Benutzerschnittstellen grundlegend verändern. Rich Client GUIs werden dann ähnlich wie ASP.NET Seiten definiert. Präsentationsschicht (definiert in Form von XAML XML-Dateien) und Code werden getrennt. Für Intranet-Anwendungen tritt der Browser damit sehr weit in den Hintergrund. Nicht dass ASP.NET tot wäre, nein! Aber ASP.NET wird wirklich nur noch dort einen Platz haben, wo der Client nur Minimalanforderungen (HTML) erfüllen kann. In Windows-Netzwerken wird es nur noch Rich Client GUIs geben - die aber sehr, sehr anders aussehen werden. Ich habe mich stark an GUIs auf dem Mac erinnert gefühlt. Alles wird bunter, bewegter. Die ganze Ästhetik von Windows wird komplett überholt. Graue Buttons auf grauen Dialogen gehören dann der Vergangenheit an. Denken in Bitmaps wird abgelöst durch Denken in Vektorgraphiken.

WinFS: Das Dateisystem der zukünftigen Windows-Version wird komplett anders sein als heute. Wir werden weniger in Dateien, als in "Entitäten" denken. Wir werden im Dateisystem Kontakte, Termine - und auch Dokumente speichern. Der Übergang von Dateisystem zu herkömmlicher Datenbank scheint fließend. Dem allen liegt wohl auch SQL Server als universelle Persistenzengine zugrunde. Zunächst hatte ich bei meiner Sessionauswahl gedacht, WinFS sei für mich nicht so interessant. Yukon - die neue SQL Server Version - hat mich mehr interessiert. Inzwischen bin ich aber im Zweifel, ob das so richtig ist. Vielleicht wird andersherum ein Schuh draus: Yukon ist nett, aber im Grunde immer noch dasselbe wie bisher. Die Möglichkeiten des Dateisystems aber, als Kombination aus bisherigem Paradigma, Exchange WebStore und Active Directory, sind jedoch etwas ganz anderes, neues.

Indigo: Der zukünftige Framework für die Kommunikation in verteilten Anwendungen. Der Normalfall wird die nachrichtenbasierte Kommunikation, der Sonderfall die RPC-Kommunikation. Microsoft erkennt mit Indigo lange überfällig an, dass Kommunikation in verteilten Anwendungen etwas grundsätzlich anderes ist als zwischen Objekten in einer monolithischen Anwendung. Don Box wurde gestern nicht müde auch seine frühere Verirrung einzugestehen und seine Läuterung zu betonen. Ich freue mich sehr über diesen Wandel - aber er bedeutet auch ein großes Umdenken bei der Softwareentwicklung. Auch wenn Indigo alles tut, um die Kommunikation einfach zu machen, so muss doch zuerst mit seinem Programmiermodell ersteinmal geplant werden.

Avalon, WinFS, Indigo: das sind die wiederkehrenden Schlagworte der PDC in diesem Jahr. Mit Longhorn wird es auch keinen .NET Framework mehr geben, sondern nur noch WinFX als Nachfolgetechnologie von Win32. Bei Win32 ging es, wie die 32 anzeigt, noch um eine sehr hardwarenahe Programmierung, bei der uns interessieren musste, wie lang Register oder Worte sind, eben 32 Bit. Bei WinFX ist diese hardwarenähe aus dem Namen raus. FX steht für Framework (oder vielleicht auch Special Effects? :-) und zeigt an, dass ab Longhorn alle Entwicklung nur noch in Managed Code erfolgt. (Oder erfolgen sollte, denn Win32 wird natürlich auch von Longhorn noch unterstützt. Also keine Angst, dass bisherige Anwendungen nicht mehr laufen würden. Rückwärtskompatibilität wird groß geschrieben bei Microsoft.)

Der .NET Framework ist mit Longhorn endlich vollständig Teil der Plattform, verschmilzt mit ihr oder ist die Plattform. Das ist gut zu hören und bedeutet, dass Investitionen heute in die .NET Framework-Programmierung zukunftssicher und -sichernd sind. Trotzdem beschleicht mich bei dem Gedanken an Longhorn & Co auch Angst.

Revolution Reloaded

Die PDC 2003 zeigt und wieder - wie auch die PDC 2000 - eine Revolution. Vieles wird mit Longhorn ganz anders (leistungsfähiger und auch einfacher). Es wird wieder einen sehr, sehr großen Berg aus Wissen zu besteigen geben. Und ich frage mich, wieviele Entwickler den Aufstieg wann beginnen werden oder können und wie hoch sie hinauf kommen. Für mich geht die Schere zwischen dem, was in Unternehmen an Technologie eingesetzt wird, und dem, was Microsoft möglich macht, weiter auseinander. Es ist schlicht schon der Wahnsinn, was Longhorn & Co alles bieten werden. Tooootal spannend und toll. Exciting! Aber es kommt eben nicht gratis. Wir müssen alle viel Umdenken und neu lernen.

Insofern ist der .NET Framework vom Jahr 2000 auch nicht isoliert zu sehen. Er war vielmehr nur der erste Schritt einer noch viel umfassenderen Neudefinition, kompletten Umgestaltung der Windows Plattform. Die Vollendung dieser Revolution wird erst mit Longhorn so ca. 2005 eintreten. Dann wird Microsoft 5 Jahre gebraucht haben, um eine neue Plattform zu definieren, die uns vielleicht wieder ein Jahrzehnt begleitet. Dann sind wir in der objektorientierten Managed Code Welt verteilter Komponenten in Service-orientierten Architekturen angekommen.

Dass diese völlige Umstellung notwendig war, bezweifle ich nicht. Dass sie so lange braucht (5 Jahre) und doch so schnell daher kommt (vielleicht nur 3 Jahre: Release .NET Fx in 2002, Release Longhorn in 2005?) ist auch verständlich. Gewaltiges wurde bewegt und das Internetzeitalter erfordert eine zügige Reaktion. Aber wie die Entwickler das mitmachen, weiß ich trotzdem nicht.

Ich für mich habe jedenfalls sehr deutlich gespürt, dass ich mich noch mehr in meinen Interessen und Kenntnissen beschränken muss. Die Web-Programmierung mit ASP.NET werde ich komplett aufgeben (abgesehen von Trivialitäten für den Hausgebrauch). Datenbanken werden mich weiter interessieren, also muss ich mich um Yukon+ADO.NET kümmern, WinFS rückt aber auch in den Bereich und muss ein Auge drauf haben. Dann noch Indigo, weil mich verteilte, komponentenorientierte Anwendungen einfach interessieren und ich es wichtig finde, ihre Vorteile weiterzusagen. Und schließlich Avalon! Mehr noch als WinForms zieht mich Avalon an, weil es endlich das zu halten verspricht, was HTML und noch mehr Liquid Motion (wie mir scheint der Vorläufer von XAML, aber - wie jetzt verständlich wird - schon 2000 eingestellt) versprochen haben: deklarative UI-Programmierung.

Es bleibt also eine Menge zu tun, zu lernen. Wo anfangen? Und wenn ich es schon nicht weiß, obwohl es mein Job ist, zu lernen und dann Wissen zu vermitteln, dann wird es noch schwerer für die Entwickler draußen. Eine große Herausforderung in den nächsten 1-2 Jahren an Zeitschriften, Verlage und Veranstalter von Konferenzen usw. Wir alle müssen die Balance finden zwischen Kontinuität und Ausbau der Kenntnisse zur heute verfügbaren Plattform .NET Fx 1.1 auf der einen Seite; und auf der anderen Seite dem Einstieg in die Motiviation und Darstellung dessen, was da kommen wird.

Aber nicht nur ich bin da auf den Zehenspitzen und muss schauen, wie ich es hinbekomme. Wie das Bild zeigt, sind es auch andere Entwickler :-)

In weiser Voraussicht hat Microsoft aber zum Glück ein zusätzliches Give-Away gegen Rückgabe der Feedback-Bögen in Aussicht gestellt :-)

So, jetzt geht es gleich zur Keynote des zweiten Tages. Mal schauen, wie sich meine Meinung, der erste Eindruck im Laufe der Woche verändert. Am Ende wird bestimmt alles gut - aber es wird nicht einfacher. Aber es wird auch nicht langweilig :-)

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