Zweiter Eindruck von der PDC: Unerwartete Prioritäten

Der zweite Tag auf der PDC ist um, eine Nacht ist vergangen, der Jet Lag lässt nach. Und was hat mir der zweite Konferenztag gegeben? Hm... Ich denke, ich bin zwiegespalten und muss unterscheiden zwischen Form und Inhalt.

Die Form der PDC enttäuscht mich irgendwie. Das liegt nicht an der Verpflegung, die ich für gut und ausreichend halte, gerade wenn man bedenkt, dass hier 7500 Menschen bewirtet werden müssen. Überall und jederzeit kann man gratis Getränke nehmen und sich mit Snacks kugelrund essen. Das Mittagessen ist solide und es gibt sogar Metallbesteck :-)

Demotivierend sind dagegen die ständig überfüllten Sessions. Sie zwingen zu einer Entscheidung, welchen Vortrag man sich anhören möchte, denn ein Wechsel ist nur schwer möglich, weil man beim nächsten dann sehr wahrscheinlich draußen vor der Tür stehen muss. (Dort sind zwar Übertragungsfernseher angeschlossen, aber die sind oft unscharf
eingestellt und der Ton ist nicht so laut.) Und in den Sessionräumen ist es wg der großen Fülle oft sehr warm. Bei Don Box bin ich gestern auch einen Moment eingenickt (was tatsächlich nicht nur am gedrängten Sitzen und der Wärme lag, sondern leider auch an ihm; der Altmeister ist nicht bei jedem seiner Vorträge auf der Höhe seiner Kunst).

Also: Die Popularität des Events in Zusammenspiel mit den Veranstaltungsräumen machen es schwer, die Fülle an Inhalten zu genießen, finde ich. Mir stellt sich deshalb die Frage nach der Sinnhaftigkeit, mehrere Tausend Leute über den halben Globus zusammenzukarren, um ihnen ein Lehrervorträgen (einer spricht, viele hören nur zu) Wissen zu vermitteln. Es werde das Gefühl nicht los, dass das anachronistisch, uneffektiv und unökologisch ist.

Die Möglichkeit zur Interaktion mit dem Sprecher wird von den allerwenigsten wahrgenommen und der Gewinn durch die 2-3 Fragen (also den Live-Charakter) während einer Session steht in keinem Verhältnis zum Aufwand. Das Networking um die Sessions herum ist natürlich sehr nett und bringt etwas. Aber es ist informell und damit auch ein Stück ineffektiv. Doch dafür lohnt sich der Weg zu einem Event - nur muss der dann so weit sein und der Event so lang? Ich bin sehr, sehr gespannt zu sehen, wie die
Qualität der Videos von den Vorträgen ist. Wenn die einigermaßen geworden sind, man den Code lesen, den Sprecher verstehen (und auch mal sehen) kann, dann würde mir das völlig reichen. Nein, es wäre sogar besser, als vor Ort zu sein. Denn bei einem Video bestimme ich, was ich wie lange höre/sehe. Und ich kann beliebig zwischen den Vorträgen wechseln. Der technische Aufwand für den Mitschnitt ist hier jedenfalls sehr groß. Ich bin gespannt.

Die Form der PDC finde ich also nicht so ideal. Die Inhalte dagegen sind sehr spannend. Umso bedauerlicher, dass die Form ihre Aufnahme erschwert.

Wenn ich die für mich die Inhalte nach Interessantheit und Wichtigkeit ordne, dann kommt folgende Liste heraus:

-Smartphone: Das Smartphone von Microsoft ist real! Es wurde gestern in der Keynote gezeigt und anprogrammiert. Cooool! Ein PDA mit einem .NET Compact Framework drauf ist ja schon eine schöne Sache. Aber ein PDA leidet oft unter seiner Isoliertheit. Er ist nicht so oft mit einer Netzwerkverbindung ausgestattet, so dass auch der Datenaustausch mit dem Desktop/Netzwerk schwer fällt. Das ist anders beim Smartphone: Weil es eben ein Telefon ist, ist es mit der Welt in Verbindung. Das Display ist zwar vergleichsweise klein, aber die Verbundenheit der .NET Compact Framework Applikationen darauf mit der Welt, lassen die Phantasien hochschießen. Ein Smartphone lässt sich kinderleicht mit einem WebService verbinden, in ein paar Zeilen sind damit Emails verschickt und es bietet sogar Zugriff auf Ortsdaten (wo befinde ich mich gerade?). Mit einem Smartphone kann man immer und überall (wo ein GSM-Netz ist) online sein. Das halte ich für einen Quantensprung für Software bzw. Devices, von dem wir noch gar nicht abschätzen können, wie weitreichend er unsere Gewohntheiten im Umgang mit "PCs" und auch miteinander verändern wird. Die simplen SMS haben ja schon eine quasi magische Wirkung auf Millionen ausgeübt und Handys nach vorne katapultiert - was können dann erst echte Applikationen in jedermanns Tasche bewirken? Ich bin seeeeehr gespannt - und werde mir gleich heute (wenn es noch klappt) einen Smartphone SDK kaufen. Wasfürein Spielzeug zu Weihnachten :-)))

-WinFS: Das neue Dateisystem von Longhorn ist für mich der größte Sprung, den Microsoft in der Zukunft macht. In WinFS werden nur noch Objekte gespeichert, vom kleinsten Kontakteintrag bis zur großen Bilddatei. "Dateien" im heutigen Sinn gibt es darin zwar noch, aber sie stellen sozusagen einen Sonderfall dar. Heute speichert das Filesystem Dateien und der Inhalt der Dateien ist für das Filesystem uninteressant. Spezielle Programme wissen, wie sie damit umzugehen haben: Word mit Word-Dokumenten, Paint mit
BMP-Dateien, Outlook mit PST-Dateien. Morgen speichert das Filesystem aber nicht mehr einfach Blobs, sondern diese Blobs haben Struktur. Jeder Datei können beliebig viele Eigenschaften anhängen. Eine Datei ist damit dann im Grunde eine Zeile in einer Datenbanktabelle, die eine Spalte für den unstrukturierten Dateiinhalt (z.B. den Text im Word-Dokument) hat, aber auch viele Spalten für strukturierte Informationen (Metadaten) über diesen Dateiinhalt hinaus. Für eine word-Datei könnten das Autor, Wortanzahl,
Abstract usw. sein, für einen Outlook-Kontakt Name, Email-Adresse, Tel usw. Dem Dateisystem (oder eigentlich müsste es "Objektsystem" heißen) ist dann auch keine "Datei" mehr zu klein. WinFS wird die universelle, in das Betriebssystem integrierte Datenbank. Das ist revolutionär!

-Avalon: Die Art & Weise, wie mit Avalon zukünftig Benutzeroberflächen deklarativ und getrennt vom dahinterstehenden Code realisiert werden können, wird nicht nur das Aussehen von Programmen verändern, sondern auch den Softwareproduktionsprozess. In der Keynote am Montag hat Adobe z.B. eine Designtool für Avalon XAML Dateien vorgestellt (eine Abwandlung seines Video-Schnittprogramms After Effects), mit dem ein Designer das Aussehen eines Windows Longhorn Programms völlig getrennt vom Entwickler bestimmen kann. Es ist damit eine Trennung von Frontendgestaltung und Programmierung wie bei Web-Projekten auch bei der Entwicklung von Desktop-Software zu erwarten. Programmierer, die sich heute schon nicht wohl mit der unseligen GUI-Gestaltung fühlen, werden es in Zukunft auch nicht mehr tun müssen. Das entlastet sie für andere Aufgaben (Geschäftslogikprogrammierung) und wird die Qualität der Benutzerschnittstellen hoffentlich in ästhetischer Hinsicht und in puncto Benutzbarkeit erhöhen. Programmierer sind einfach und waren nie Gestalter. Zukünftig müssen sie es also nicht mehr vorgeben. Das ist revolutionär (und bietet auch die Mac-Welt nicht, selbst wenn dort immer schon GUIs hübscher waren) und beeinflusst nicht nur die technichen Möglichkeiten, sondern den Softwareentwicklungsprozess.

-Yukon: Die Integration der CLR in die nächste SQL Server-Version ist schon beeindruckend. Gestern wurde gezeigt, wie man eigene Klassen als Spaltentypen für SQL Server-Tabelle definieren kann. Das Paradigma der atomaren Spalteninhalte des relationalen Datenmodells ist damit überholt. Sie wollen eine Struktur wie Point oder sogar ein komplexes Objektgeflecht in einer Spalte speichern? Kein Problem! Und nicht nur das! Sie können in diese Strukturen hinein abfragen und sogar in SQL-Anweisungen
Methoden darauf aufrufen! Das ist revolutionär für die Microsoft-Welt (wenn auch das Konzept einer gehosteten Runtime oder strukturierter Spalten nicht neu ist) und bietet wunderbare Chancen. Allerdings müssen wir sehen, welches Feature wie performant läuft und welche Organisation von Daten und Code vorteilhaft ist. Sicherlich bestehen zukünftige Datenbanken dann nicht nur aus einer Tabelle mit einer strukturierten Spalte und sicherlich soll Yukon auch nicht die .NET Enterprise Services als Applikationsserver ersetzen. Was aber der richtige Mix ist, muss sich erst herausschälen. (Deutlich ist jedoch, dass Yukon so aussehen muss, wie es ist, damit WinFS seine Leistungen bieten kann. Denn die Grundlage des neuen Dateisystems ist der SQL Server.)

-Indigo: Indigo als neue vereinheitlichte Kommunikationsinfrastruktur ist für mich weniger greifbar als die anderen Technologien. Die versprechungen sind schön, das Programmiermodell konsequent und endlich steht die Welt auf den Füßen (messagebasierte Kommunikation zwischen verteilten Komponenten ist der Normalfall, RPC der Sonderfall) - aber am Ende sehe ich noch keinen wirklich kategorial neuen Ansatz. Hier fehlt die Revolution etwas (naja, ist ja auch mal schön :-) - oder ich weiß noch nicht genug darüber.

Vor dem Event hätte ich nicht gedacht, dass meine Prios so aussehen würden. Da dachte ich, Yukon sei das wichtigste, spannendste. Aber die Welt ist bunt und nicht immer so, wie wir sie erwarten.

Inhaltlich hat sich die PDC also voll gelohnt. Sie ist ein Blick weit in die Zukunft (Longhorn mit Avalon, WinFS usw.), aber zeigt auch viel unmittelbarere Chancen auch (Smartphone, Yukon, ADO.NET 2.0, ASP.NET 2.0 usw.). Ihren Zweck der Vorausschau auf die Softwareentwicklung hat sie damit voll erfüllt. Keine Frage. Aber muss ich dafür nach LA fliegen? Hm...

2 Comments

  • ::Sie wollen eine Struktur wie Point oder

    ::sogar ein komplexes Objektgeflecht in einer

    ::Spalte speichern? Kein Problem!



    Whow. Kein Problem. NUR: dass die properties dann nicht indiziert sind.



    Und weg ist die Performance.



    ::Deutlich ist jedoch, dass Yukon so aussehen

    ::muss, wie es ist, damit WinFS seine

    ::Leistungen bieten kann. Denn die Grundlage

    ::des neuen Dateisystems ist der SQL Server.)



    Ja, aber nicht die Features die du da ansprichst. YUKON ist ohne zweifel in grosser Schritt nach vorne, aber das isses dann auch. Die meisten dieser besonderen Features werde zumindest ich nicht nutzen.



  • Zu Thomas Tomiczeks Kommentar:



    1. Korrekt ist, dass natürlich Eigenschaften von irgendwelchen Objekten in einem Objektbaum in einer Spalte nicht indiziert werden können. Falsch ist jedoch die Suggestion, Performance sei die einzige Eigenschaft einer Anwendung, nach der es zu streben gilt.

    Wie bei jedem Feature jedes Produktes gilt es immer, auch bei den neuen Möglichkeiten von Yukon abzuwägen, wann man sie einsetzt. Es ist also genau so dumm, ein Feature "auf Teufel komm' raus" einzusetzen (wenn man einen Hammer hat, sieht alles wie ein Nagel aus), wie es dumm ist, nur weil ein Feature weniger Performance bringt, es quasi grundsätzlich zu ignorieren.



    2. Wenn Yukon "ohne zweifel ein grosser Schritt nach vorne" ist, dann finde ich es unverständlich, dass eine Nutzung "dieser besonderen Features" per se ausgeschlossen wird. Ein großer Schritt bedeutet für mich immer, dass es nutzenswerte, relevante Vorteile gibt - oder eine Entwicklung ist einfach kein großer Schritt. Am Ende ist es ja aber zum Glück nicht wichtig, dass alle auch alle neuen Features nutzen. Der eine benutzt diese, der andere jene, und mancher bleibt halt stehen.

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