Warum ist Wikipedia ein Erfolg? - Gedanken zur "Funktionsweise" von Kollaborationsprojekten im Internet

Angeregt durch eine Diskussion in einer dotnetpro-Newsgroup hier ein Versuch der Erklärung, warum Open Source und Wikipedia und einige andere Projekte funktionieren. Denn nur wenn man eine Idee davon hat, warum eine Sache funktioniert, kann man abschätzen, ob eine andere, vermeintlich ähnliche Sache auch funktionieren könnte.
 
Ich schmeiße mal Folgendes in einen Topf:
 
-Wikipedia - Ein online Lexikon, bei dem jeder Beitrag von jedem Interessierten eingestellt und modifiziert werden kann.
-Open Source im Web - Softwareprojekte, bei denen im Grunde auch jeder Kundige einen Beitrag leisten kann, indem er die frei verfügbaren Sourcen ergänzt und modifiziert. (Dass das nur eine Untermenge aller OS Projekte ist, ist mir klar.)
-Napster, Gnutella & Co - Musiktauschbörsen, bei denen jeder Musikdateien anbieten und runterladen kann.
-Newsgroups - Diskussionsforen, bei denen jeder Fragen einstellen und beantworten kann.
-Projekt Gutenberg - Sammlung copyright freier Texte
 
Alle diese Projekte wurden durch das Internet ermöglicht. Denn nur das Internet erlaubt die dafür nötige einfache Publikation (Erzeugung von Inhalt, Veröffentlichung, einfache Aktualisierung und einfachen Zugang). Die Produktions und Verteilungshürde traditioneller Medien ist mit dem Internet aus dem Weg geräumt. Damit haben Verlage (und Druckereien) einen Teil ihrer Existenzgrundlage verloren.
 
Aber nicht nur ist die Produktion und Verteilung an sich mit dem Internet plötzlich einfach, darüber hinaus können die Publikationen ständig im Fluss bleiben. Dieselbe Publikation kann dauernder Revision unterliegen. Wenn dagegen ein Buch erstmal gedruckt ist, ist es unveränderlich.
 
Diese grundsätzliche Modifizierbarkeit und die beliebige Granularität (von Softwareprojekte mit tausenden Dateienü über eBooks oder Musikstücke mit einer Datei bis zu einzelnen Sätzen innerhalb einer HTML-Seite) der Änderungen machen Kollaborationsprojekte wie die obigen möglich. Es können überhaupt jetzt erst viele zusammen kommen, um an einem großen Ganzen zu arbeiten.
 
Das ist wie mit den kleinen Steinpyramiden, die man beim Wandern in den Bergen immer mal wieder sieht: jeder, der vorbeikommt, kann einen Stein dazu legen, wenn er will. Über die Zeit wächst dann ein Haufen, der anderen anzeigt, dass sie noch auf dem richtigen Weg sind. Viele kleine Beiträge formen also zusammen etwas Größeres und zudem nützliches. (Schon hierbei ist ein Charakteristikum zu sehen, dass für alle solche Projekte gilt: nur wenige tragen dazu bei, aber viele, viele nutzen es. Die Zahl derjenigen, die ein Musikstück über Napster herunterladen oder eine OS Software nutzen oder einen Wikipedia-Beitrag lesen ist immer um 10erpotenzen größer als die derjenigen, die ein Musikstück bereitstellen, eine Änderung an OS Software machen oder einen Beitrag schreiben. Dieses "free riding" kann ein Problem werden, wenn die Zahl der Produzenten unter einen kritischen Prozentsatz fällt. Dann "lebt" das Gesamtprodukt nicht genügend und bleibt/wird unattraktiv.)
 
Zwischenstand:
-Wikipedia, Napster, viele OS Projekte im Web (aber nicht alle) und Newsgroups sind Produkte (weil sie produziert werden, nicht weil sie Geld kosten), die nur durch das Internet möglich sind.
-Alle diese Produkte sind Kollaborationsprojekte, zu denen immer viel weniger Produzenten gehören im Verhältnis zu den Nutzern.
-Alle diese Produkte sind kostenlos für die Nutzer.
 
Warum haben manche dieser Produkte so großen Erfolg und manche nicht? Das hängt wohl von einer kritischen Menge an Nutzen ab. Und die wiederum hängt von einer kritischen Masse an Nutzern (und Aufmerksamkeit) ab. Wikipedia war ja nicht immer erfolgreich, sondern hat klein angefangen. Aber aus irgendwelchen Gründen bot Wikipedia irgendwann soviel Nutzen, dass immer mehr Leute es wertvoll und empfehlenswert fanden. Damit stieg dann auch ganz natürlich die Zahl der Kontributoren, die mit ihrer Arbeit den Nutzen erhöht haben usw. usf. Eine positive Spirale.
 
Nicht jedes OS Projekt kommt an diesen Punkt, wo das Interesse einen Sprung macht und eine positive Spirale aus "mehr Beiträge - mehr Interesse - noch mehr Beiträge - noch mehr Interesse" in Gang gesetzt wird.
 
Die Newsgroups der dotnetpro sind dafür ein Beispiel. Sie haben keine kritische Masse an Beiträgen, also interessieren sich die Leser nicht sehr dafür, also steigt die Menge der Beiträge auch nicht stark. Um das zu ändern, müsste wahrscheinlich großer Aufwand getrieben werden. Aber es könnte auch zufällig einfach passieren. Warum die kritische Masse sich nach Erscheinen der dotnetpro nicht in den ersten Monaten eingestellt hat...? Keine Ahnung. Die Lebendigkeit der NGs der BasicPro konnte jedenfalls nicht einfach übernommen werden.
 
Aber zurück zu Wikipedia & Co:
 
Die Masterfrage lautet, warum überhaupt für diese kostenlosen Produkte Beiträge kostenlos produziert werden?
 
Warum stellt jmd ein Musikstück bei Napster zur Verfügung? Warum schreibt jmd eine Antwort auf eine Frage in einer NG? Warum korrigiert jmd. einen Beitrag in Wikipedia?
 
a. Der erste Teil der Antwort muss lauten: weil diese Produzenten den Wert des Produktes erhalten wollen. Produzenten sind also zunächst einmal Nutzer. So wie ein Bauer sein Feld bestellt, so "beackern" Produzenten ihre Kollaborationsprojekte. Sie wissen, nur wenn gesät wird, kann man am Ende auch ernten. Insofern handeln sie eigennützig und nicht altruistisch.
 
b. Über die Erhaltung des Wertes eines Produktes hinaus treibt Produzenten aber sicher auch oft an, dass sie sich mit einem Beitrag ein gutes Gefühl verschaffen können. Sie freuen sich, wenn sie merken, dass ihr Beitrag wertgeschätzt wird. Insofern handeln sie eigennützig und auch nicht altruistisch.
 
c. Und nicht zuletzt empfinden Produzenten bestimmt auch oft eine intrinsische Freude beim beitragen. Es macht ihnen unabhängig vom Gesamtnutzen und eventueller Ehre einfach Spaß, etwas zu produzieren. Sie tüfteln gern oder schreiben gern oder beschäftigen sich gern mit einem Thema. Auch in dieser Hinsicht handeln Produzenten eigennützig und nicht altruistisch.
 
d. Für einige Projekte mag dann noch eine ideologische Komponente hinzukommen. Die Produzenten wollen mit ihren Beiträge eine Idee unterstützen. Der Wert des Produktes liegt dann nicht nur in seinem konkreten Nutzen, sondern in seiner puren Existenz als Ausdruck der Idee. Solche Ideen sind "Nur mit Open Source kann sichere Software produziert werden" oder "Nieder mit dem Kartell der Musikindustrie" oder "Informationen muss für alle immer kostenlos zugänglich sein, damit die Welt ein besserer Ort wird". Ob Beiträge, wenn man sie auf dieser Ebene betrachtet, altruistisch sind oder auch letztlich nur eigennützig, mag ich an dieser Stelle nicht entscheiden. Darüber lässt sich trefflich philosophieren.
 
Alles in allem sind das plausible Gründe, würde ich sagen, warum Menschen an solchen Kollaborationsprojekten teilnehmen. Wikipedia & Co wohnt also keine Magie inne. Vielmehr sind Wikipedia & Co nur neue Betätigungsfelder - möglich gemacht durch das Internet - für Verhalten, dass schon immer da war:
 
zu a.: Peter ist Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr, weil er versteht, dass der Nutzen (gelöschte Brände) für ihn (und alle anderen) nur erhalten bleibt, wenn er sich an seiner Produktion beteiligt. Das Gleiche gilt für Bärbel, wenn Sie alljährlich mitmacht beim Frühjahrsputz des Tennisgeländes; denn nur so bleibt der Verein attraktiv und es macht Spaß, im Sommer auf einem schönen Platz zu spielen.
 
zu b.: Monika geht wöchentlich einmal auf die Kinderstation im Krankenhaus und liest dort vor. Es erfüllt sie mit Freude, die fröhlichen Kindergesichter bei ihren Lesungen zu sehen. Fred ist Vorsitzender des lokalen Kunstvereins. Er organisiert Ausstellungen und ist stolz, wenn anschließend die Mitglieder zu ihm kommen und ihm für seine gute Arbeit danken.
 
zu c.: Monika und Fred und auch Peter macht ihre Arbeit einfach auch Spaß. Peter liebt den Umgang mit dem Feuerwehrgerät und den Adrenalinstoß, wenn es zum Einsatz geht (es sei denn, der Einsatz ist nachts um 3h). Nur Bärbel putzt den Tennisplatz nicht wirklich gerne.
 
zu d.: Monika ist natürlich auch der Ansicht, dass die Welt ein besserer Ort ist, wenn Kinder lachen und weniger einsam im Krankenhaus sind. Und Rolf engagiert sich für Greenpeace und steht bei Regen am Infotisch in der Fußgängerzone. Er ist fest davon überzeugt, dass die Welt verändert werden muss, damit sie eine Zukunft hat. Er hat keinen unmittelbaren Nutzen von seiner Arbeit, die unmittelbare Anerkennung fehlt meist auch (denn die meisten Passanten ignorieren ihn), Spaß macht es keinen, im Regen zu stehen und immer wieder mit Betonköpfen zu diskutieren, die nicht verstehen, dass Atomkraft nie wieder kommen darf. Aber er weiß, er arbeitet für ein wichtiges Großes Ganzes.
 
Also: Wikipedia & Co sind zwar neue Betätigungsfelder - aber die Motivationen sind uralt.
 
Für eine Beurteilung der Erfolgsaussichten neuer Kollaborationsprojekte stellt sich nun die Frage, was all diese Produkte gemeinsam haben?
Sie haben alle einen Nutzen, sie erfüllen alle ein sachliches Bedürfnis und bieten darüber hinaus ein Betätigungsfeld für Menschen, die sich durch a., b., c. oder d. motiviert fühlen.
 
Aber das reicht noch nicht. Das erklärt nämlich noch nicht, warum Menschen sich dort ohne monetäre Vergütung einbringen.
 
Warum tun Menschen das? War verschenken sie ihre Leistung?
 
Die Antwort ist einfach: Weil niemand ihre Leistung bezahlen würde. Niemand kann oder will ihre Leistung kaufen. Dafür gibt es viele Gründe, z.B.
 
-Es ist kein Geld vorhanden. (Die Gemeinde kann sich eine Berufsfeuerwehr nicht leisten. Das Krankenhaus kann sich eine Vorleserin nicht leisten.)
-Unklarheit bzgl. der Kompetenz des Produzenten. (Ist Stefan kompetent, etwas über das Thema xyz zu sagen? Selbst wenn er es objektiv nicht ist, sondern nur meint es zu sein, kann er einen Beitrag zu Wikipedia leisten - obwohl ihn die Brockhaus-Redaktion abgelehnt hätte.)
-Unklarheit über das Potenzial eines Produktes. (Ist Musik im Internet erfolgsversprechend? Wie groß ist das Potenzial im Vergleich zu CDs? Wenn das unsicher ist, lassen Musikverlage die Finger davon  - aber Enthusiasten können durch Investition von Zeit trotzdem dieses Potenzial ausloten.)
-Der Wert eines Beitrags ist klein und es existiert kein Bezahlungsmodell dafür. (Wie sollte die dotnetpro einen Newsgroupsbeitrag vergüten? Ist er das auch wirklich wert?)
 
Den Erfolg der kostenlosen Kollaborationsprodukte im Internet macht also aus, dass es keine Alternative zu ihnen gibt. Ich kann mein Wissen zum Thema xyz niemandem verkaufen - und antworte daher in der NG oder schreibe einen Wikipedia-Beitrag (denn ich bin ja durch a., b. oder c. oder gar d. motiviert). Ich arbeite tagsüber mit Clipper an Geschäftsanwendungen, weil das lukrativ ist - aber abends kann ich meine Kompetenz als C++ Programmierer in einem Open Source Projekt einbringen. Ich stelle gerippte Musik ins Web, weil ich es der Musikindustrie zeigen will - eine Alternative habe ich nicht, denn für ungesetzliche Handlungen gibt es eigentlich kein Honorar.
 
Kostenlose Beiträge sind kostenlos, weil ihre Produzenten - aus welchen Gründen auch immer, subjektiv oder objektiv - keine Alternative haben. Sie sind stark motiviert, kennen aber keinen Abnehmer für ihre Motivation, der ihre Arbeit auch noch vergüten würde. Denn selbstverständlich wäre es jedem Produzenten lieber, er würde für seinen Aufwand Geld bekommen. Denn diese Form der Anerkennung kann er an anderer Stelle gegen etwa anderes eintauschen, z.B. eine Stereoanlage oder einen Urlaub oder ein Buch.
 
(Eine besondere Gruppe stellen jedoch Produzenten dar, die durch d. motiviert sind. Bei ihnen mag es "gegen die Ehre" verstoßen, Geld für ihre Leistung zu empfangen. Oder echte Bezahlung verstieße sogar gegen die Ideologie, die hinter dem Produkt steht.)
 
Was bedeutet das für zukünftige Kollaborationsprojekte?
 
Ich denke, es haben nur kostenlose Kollaborationsprojekte eine Chance, die entweder...
 
-vor allem von Menschen getrieben werden, die ideologisch motiviert sind (und deren Ideologie am besten auch noch anti-monetär ist)
 
-und/oder deren Beiträge nur schwer oder gar nicht an anderer Stelle gegen Bezahlung geleistet werden können.

8 Comments

  • die Sache ist eigentlich schon sehr alt und wurde wissenschaftlich schon vielfach untersucht und beschrieben. Warum tun Menschen das was sie tun (meistens kommt die Forschung aus der Käufer/Marketing Ecke)

    Je nach Forscher gibt es mal 5 oder 7 Motivationstypen bzw Mischformen davon.

    Das sind zb Soziales Ansehen, Macht, Besitz, Neugier, Sicherheit

    Warum stellt sich also jemand eine Porsche statt einem Lada in die Einfahrt

    Oder warum kauft jemand eine bestimmte Waschmaschine.

    Jedefalls lässt sich das auch sehr gut auf die Communitys anwenden. Im Microsoft Umfeld ist alles eher Busines= Besitz getrieben. Soziales Ansehen spielt eher ein untergeordnete Rolle. Es ist also kein Bestandteil des Kulturkreises und deshalb wird Microsoft oder zb Oracle oder SAP nie eine LAMP ähnliche Communtiy entwickeln können. So wie manche Kulturen wenig Wert auf Besitz legen

  • @Hannes: Klar, Motivationen werden andauernd untersucht. Und besonders von denen, die verstehen möchten, wie sie die Erkenntnisse in bare Münze umsetzen können.



    Aber auch die von nicht-monetären Interessen angetriebenen sollten sich dafür interessieren. Denn sonst ist am Ende die Enttäuschung groß, dass ein gut gemeintes Vorhaben nicht funktioniert.



    Ausgangspunkt für meine Gedanken ist eine Diskussion in der dotnetpro-NG, in der die Meinung geäußert wurde, Wikipedia sei unverzichtbar für das Wohl der Welt und würde sich letztlich gegenüber kommerziellen Publikationen durchsetzen.



    Unabhängig davon, ob ich dem zustimme oder nicht, habe ich versucht, die Motivation bei solchen Kollaborationsefforts einmal näher zu betrachten. Porsche vs Lada interessiert mich also nicht, sondern: Warum machen Menschen ohne Bezahlung bei so einem Projekt mit? Welche Projekte in dieser Art versprechen auch zukünftig Erfolg?



    Für mich persönlich stellt sich die Welt nun etwas klarer dar. Ich kann jetzt beim nächsten Kollaborationsprojekt fragen: Wie sind die Leute motiviert? Treibt sie a., b., c. oder d. an? Wie ideologisch gestützt ist das Projekt? Gibt es für die Art der Beiträge eine Alternative, für die (bisher) bezahlt wurde? Haben die Produzenten von Beiträgen eine Chance, diese Alternative zu nutzen? Würden sie das wollen?



    Diese Fragen kann man z.B. zu Codezone stellen oder zu gotdotnet.com oder zur Blog-Community.



    Mit geht es nicht darum, ein "Sollen" zu formulieren. Weder meine ich, Menschen sollten nicht kostenlos bei solchen Projekten mitmachen, noch meine ich, die Welt würde durch sie gerettet. Mir geht es um das Phänomen. Ich möchte es besser verstehen.



    Interessant wäre auch zu sehen, wie sich die Beteiligung Einzelner über die Jahre ändert. Früher gegen das Establishment, heute Mitglied im Establishment? Heute Wikipedianer, morgen Lektor bei Klett?



    Übrigens auch nicht uninteressant, dass die Wikimania Konferenz in Deutschland stattfindet. Hier ist das Klima für solche "altruistischen Projekte" besonders gut. Open Source erfreut sich ja bei uns auch ganz besonderer Beliebtheit. (Man schaue mal die Liste der Kontributoren bei Linux an. Zumindest war vor einigen Jahren der Stand so, dass - glaube ich - Deutschland überproportional daran beteiligt war.) Man ist in Deutschland also weniger businessmäßig eingestellt in der Grundstimmung. Es gilt nicht "Jeder kann Millionär werden, wenn er sich anstrengt" (außer bei Lotto oder Günther Jauch ;-).



    Das ist ja auch eigentlich eine schöne Sache, könnte man meinen. Soviel soziales Engagement!



    Nur leider sehe ich zumindest eine Korrelation zur allgemeinen Misere unserer Gesellschaft. Ich finde, da ist etwas aus der Balance.



    Das Modell USA ist sicher auch nicht perfekt. Aber das Modell Deutschland scheint mir auch einer Reparatur zu bedürfen.



    Aber jetzt wird es philosophisch... :-)

  • ... oder Politisch ;)

  • Also ich finde die Aussage, dass die Produkte nicht verkaufbar wären erstaunlich. Viele gute Projekte (insbesondere gilt dies hier für OpenSource-Software, vermutlich aber auch für etliche soziale und unentgeltliche Dienstleistungen) stehen in direkter Konkurrenz zu kommerziellen. Genannt seien bspw. als OpenSource-Produkte Linux und der Apache Webserver. Linux ist als Hobby-Projekt gestartet, Apache aus dem Wunsch heraus, den NCSA-Server zu erweitern.



    Letztlich gab es seit der Begründung von Apache bzw. Linux für beide Produktgruppen Versuche, mit neuer Software Geld zu verdienen. Es gab völlig neue Betriebssysteme (bspw. BeOS), die zwar keinen/kaum kommerziellen Erfolg hatten, aber dennoch gab es Leute, die es zumindest versuchten. Warum als nicht Linus Torvalds und die anderen, die zu Linux besonders in der Anfangsphase beitrugen? Ebenso gab es auch nach dem Apache noch Webserver, sogar mit erheblichem kommerziellen Erfolg (IIS, anfangs Netscape). Warum also haben Behlendorf & Co. nicht versucht, Geld mit dem Apache zu verdienen (übrigens keine Deutschen, sondern m.W. US-Amerikaner)?



    Die Aussage, dass die Produkte nicht verkaufbar wären, trägt somit für mich nicht.



    Die genannten Gründe, zu so einem Projekt beizutragen finde ich somit zwar nachvollziehbar. Nicht aber die Aussage, dass dies unentgeltlich geschieht, weil es keinen Markt für die Produkte gebe.



  • @Rittmey: Ich verstehe, was du meinst. Ich habe mich etwas missverständlich ausgedrückt. Hier ein Versuch der Nachbesserung:



    Die Produkte innerhalb eines Kollaborationsprojektes können sehr wohl eigentlich (!) auch verkauft werden. Der Brockhaus kauft ja auch Beiträge. Entscheidend ist aber nicht, ob die Produkte grundsätzlich irgendwo auch für Geld verkauft werden könnten, sondern ob diese Möglichkeit in Reichweite der Produzenten ist.



    Peter Mustermann, der ein bisschen in seiner Freizeit mit Bonsais beschäftigt, kann ohne weiteres einen Wikipedia-Beitrag zum Thema Bonsais produzieren (egal, ob der gut oder schlecht ist). Aber in seiner Reichweite liegt es nicht, bei Brockhaus zum Thema Bonsai den Experten zu mimen.



    Das meine ich mit "nicht verkaufbar".

  • @Ralf: Ich denke das trifft sicher auf viele Beiträge und Dienstleistungen zu, aber nicht auf alle.



    Bspw. Ärzte ohne Grenzen (oder Entwicklungshelfer allgemein). Die Ärzte (oder anderen Helfer) könnten mit ihrem Beruf außerhalb von Ärzte ohne Grenzen sicher weitaus mehr verdienen als bei Ärzte ohne Grenzen. Und es gibt derzeit mehr als genug Bedarf an Ärzten (Krankenhäuser zahlen zwar nach wie vor schlecht, suchen aber doch händeringend). Ähnliches gilt auch für OpenSource-Projekte, wo häufig Entwickler, die tagsüber als Software-Entwickler für andere Projekte arbeiten, in ihrer Freizeit zu OpenSource-Projekten beitragen. Wie viele das sind und wie groß ihr Anteil an den Projekten ist (variiert ja sicher ohnehin), weiss ich natürlich nicht. Aber dennoch sind diese keineswegs eine Ausnahme und sie können erwiesenermaßen mit ihrer Arbeit als solches durchaus Geld verdienen.



    Ich denke, die anderen Gründe (besonders Anerkennung, aber durchaus auch der wunsch, zu helfen und zu teilen) haben nichts oder wenig mit Geld zu tun. Es würde ja auch keiner einen Job ausschließlich der Bezahlung wegen annehmen (oder jedenfalls die wenigsten). Andere Dinge sind eben auch sehr wichtig: Es muss Spass machen, die Anerkennung muss stimmen, und das Umfeld einem gefallen. Dies gilt zumindest dort, wo man noch halbwegs sich seinen Job selber aussuchen kann.



    Dort wo Menschen es sich leisten können, da sind sie - denke ich - gerne bereit zu helfen, zu teilen. Sei es in der Nachbarschaftshilfe, bei Wikipedia oder der Freiwilligen Feuerwehr. Und mitunter ist es vielleicht ja auch eine Form des Danks. Bspw. könnte es sein, dass jmd. gerade deswegen in Newsgroups postet, weil ihm selber schon oft dort geholfen wurde.




  • @Rittmey: Nur weil ich sage, dass ein Antrieb für die honorarfreie Beteiligung an Kollaborationsprojekten sein kann, dass die Produkte woanders nicht verkaufbar sind, bedeutet das ja nicht, dass das der einzige Grund ist.



    In meinem ursprünlichen Posting unterscheide ich am Ende ja zwei (!) wesentliche Motivationen: Ideologie und Unverkäuflichkeit.



    Eine Beteiligung ist allermeistens auch nicht Monokausal. Es fließen bei jedem wahrscheinlich viele Gründe zusammen.



    Auch bei den Ärzten ohne Grenzen sind die Gründe sicherlich vielfältig. Und bei der Freiwilligen Feuerwehr auch.



    In meinem Posting ging es ja darum darüber nachzudenken, wie ich den Erfolg zukünftiger (!) Kollaborationsprojekte vorher einschätzen kann. Und da meine ich eben, dass ein Erfolg stark begünstigt wird, wenn hinter dem Projekt eine starke Ideologie steht und (!) das Einzelprodukt schwer gegen Geld woanders von den Produzenten angeboten werden kann.



    Das betrifft übrigens auch das allergrößte "Kollaborationsprojekt" des Planeten: das WWW.



    Die Fülle des online Materials von Privatpersonen hat ihren Ursprung in viel Antrieb, sich mitzuteilen - aber eben auch darin, dass es keine Alternative gibt. Wer etwas über Bonsai auf seiner Homepage sagt, der ist angetrieben von Begeisterung - aber fühlt sich außerstande, dasselbe einem Verlag zu verkaufen. Denn würde er sich das zutrauen und gäbe es auch einen willigen Verlag, warum sollte er es dann gratis online stellen? Da bleibt nur Ideologie als Antwort.



    Und damit sind wir wieder bei meinen zwei Punkten am Ende meines ursprünglichen Postings.



    Ich meine das ja auch völlig wertfrei. Ich finde diese Gründe weder gut noch schlecht. Mir ging es um ihre Erkenntnis.



    Das hat aber natürlich auch damit zu tun, wie du zurecht sagst, ob Menschen sich es überhaupt leisten können. Haben sie die Freizeit für solches "ehrenamtliches" Engagement? Aber: Auch hier glaube ich nicht per se an das Gute im Menschen. Die Menschen verzichten bei solchem Engagement nicht auf ein Honorar, das man ihnen anbietet, sondern es gibt schlichtweg keines. Gäbes es eines woanders, würden sie dort tätig werden. Der Mangel an Honorar muss dann anderweitig kompensiert werden, vor allem Anerkennung bzw. Zufriedenheit damit, dass man sich konform zu einer Ideologie verhält. (Ideologie ist hier auch wertfrei gemeint einfach als Begriff für irgendein Ideengebäude.)

  • Interessant wäre, was geschehen würde, wenn für jeden Artikel von jedem Leser ein kleiner Betrag bezahlt werden würde (Nachfrage vorausgesetzt). Wie würde sich die anarchische Autorenorganisation verhalten? Was wäre die beste Organisationsform? Ich frage auch, weil ich mit dem Gedanken spiele, ein Portal zu kreieren, dass jeden Autor und auch jeden Redakteur (für eine Kategorie zutändig) honoriert. Welche Regeln müssten aufgestellt werden?

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